Unsere Industrie ist bereits heute in vielen Teilen hochdigitalisiert. Sämtliche Prozesse von der Material bedarfsplanung über Produkt- und Personalplanung bis hin zu Verkauf, Marketing und Vertrieb sind weitgehend IT-unterstützt oder automatisiert.
Derzeit vollzieht sich unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ der nächste Schritt der digitalen Transformation. Er bedeutet eine stärkere Vernetzung aller Wertschöpfungsprozesse – auch über Unternehmensgrenzen hinaus – sowie eine IT-basierte Selbstoptimierung der Systeme und Produktionsmittel. Unterstützt werden diese Prozesse durch industrienahe, internetbasierte Dienstleistungen (Smart Services), die bspw. eine vorausschauende Fernwartung von Maschinen ermöglichen. Dies alles führt zu Effizienzsteigerungen im Bereich der Ressourcen und Kosten und steigert die Flexibilität sowie die Reaktionsfähigkeit auf Marktanforderungen.
Die umfassende Vernetzung von Prozessen und der durchgängige Einsatz von IT haben zentrale Auswirkungen auf Geschäftsmodelle, Arbeitsplatzprofile, Mitarbeitereinsatz und die Art, wie und wo Menschen zukünftig ihre Arbeit verrichten.
Industrie 4.0 wird aktuell von den großen Industrieunternehmen vorangetrieben und entwickelt sich entlang bestehender Wertschöpfungsketten. Für mittelständische Unternehmen steht Industrie 4.0 spätestens dann auf der Tagesordnung, wenn große Abnehmer die neuen Anforderungen an ihre Zulieferer herantragen.
Derzeit herrscht im Mittelstand jedoch ein Mangel an Informationen hinsichtlich Reifegrad, Kosten, erforderlicher Organisationsformen und Marktchancen von Industrie 4.0-Projekten, Produkten und -Services. Dies erschwert deren Verbreitung. Kosten-Nutzen- und Investitionsrechnungen sind oft noch nicht belastbar darstellbar.
Das Land Hessen wird daher mittelständische und kleinere Unternehmen bei der schrittweisen Migration in Richtung Industrie 4.0 unterstützen.
Hierfür engagiert sich Hessen zusammen mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft in einer Reihe von Initiativen zur Digitalisierung der Industrie und industrienaher Dienstleistungen. Dieses Engagement steht im Kontext des „Leitbilds des Industriestandorts Hessen“, das 2015 in enger Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung, der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) und Unternehmen erstellt worden ist [1].
Das Leitbild formuliert das Hauptziel, Hessen unter den Top 5 der europäischen Innovationsrangliste zu platzieren und zu einer der modernsten Industrieregionen Europas zu entwickeln. Es beinhaltet klare Bekenntnisse zur weiteren Steigerung der Ressourceneffizienz und zur Stärkung der Innovationsfähigkeit in Hessen.
EXKURS: DIGITALISIERUNG DER ARBEITSWELT
Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist ein Zukunftsthema, das die gesellschaftliche Debatte erreicht hat und sie zunehmend bestimmen wird. In der Diskussion über die Digitalisierung der Arbeitswelt ist es nötig, den Begriff der „Digitalisierung“ zu differenzieren, denn die Arbeitsprozesse bzw. Arbeitsschritte, die von Computern/ IT-Systemen oder Steuerungseinheiten übernommen werden, sind sehr unterschiedlich, wie etwa der Einsatz von Robotoren in der Fertigung, der Einsatz von GPS in der Logistik oder die Verwendung bildgebender Verfahren in der Medizintechnik. Diese Digitalisierungs-Trends sind sowohl hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt als auch in Bezug auf die erforderliche Gestaltung der Schnittstelle Mensch-Maschine unterschiedlich zu bewerten.
Jenseits der zu führenden Diskussion gibt es bereits heute feststellbare Veränderungen, die sich in der Zukunft noch verdeutlichen können. In der aktuellen Betrachtung zeigt sich, dass das klassische Arbeitsverhältnis (weisungsgebundener Leistungserbringer, persönliche Abhängigkeit, fremdbestimmte Betriebsorganisation) einer starken Veränderung unterliegt. Es wird nicht ausbleiben, im Rahmen der Digitalisierung ein neues Leitbild der Arbeit zu definieren, das verschiedenste Veränderungsprozesse erfassen muss, um neue Arbeitsformen wie beispielsweise das Crowdworking zu erfassen.
Zu erwarten sind einerseits eine zunehmende Entgrenzung der Arbeit in Bezug auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit, eine weiter steigende Arbeitsverdichtung und wahrscheinlich eine mögliche
Zunahme neotayloristischer Arbeitsprozesse. Dem gegenüber steht eine große Flexibilisierung der Arbeitswelt. Hierdurch ergeben sich eine vermehrte Arbeitsplatz- und Arbeitszeitautonomie sowie individuelle lebensphasenoptimierte Arbeitsplatzcharakteristika. Diese Veränderungen können die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und zu einer positiven Work-Life-Balance führen. Andererseits geht mit dieser hohen Flexibilität oftmals der Verlust stabiler Arbeitsbeziehungen einher, was zu diskontinuierlichen Berufsbiographien führen und sowohl als Entwicklungschance wie auch als Verlust der Planungssicherheit wirken kann.
Durch die erwarteten Veränderungen der Arbeitswelt ergeben sich neue Anforderungen an die Beschäftigten. Um die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer/-innen zu erhalten ist eine permanente Fort- und Weiterbildung nötig. Wesentlich hierfür ist nicht digital verfügbares Faktenwissen zu schulen, sondern vor allem solche Fähigkeiten, die nicht durch den Computer ersetzt werden können. Hierzu zählen Kreativität, Problemlösekompetenzen und Vielseitigkeit, hohe Flexibilität, Motivation, Fortbildungsbereitschaft und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung.
Neben gezielten Programmen zur Fort- und Weiterbildung zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit müssen auch das Schul- und Ausbildungssystem sowie die Hochschulausbildung die Jugendlichen gezielt auf die Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt vorbereiten. Zum Teil wird dies zu Veränderungen von bestehenden Berufen bis hin zum Entstehen neuer Berufe führen. Es ist heute noch nicht abschätzbar, wie sich diese Veränderungen auf die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Hessen auswirken.
Die Digitalisierung der Arbeitswelt kann nur dann zum Erfolgsprojekt der hessischen Wirtschaft werden, wenn die bereits heute bestehenden legitimen Schutzbedürfnisse der Arbeitnehmer/-innen berücksichtigt werden. Um dies zu erreichen, ist eine kontinuierliche Fortentwicklung der bestehenden arbeitsschutzrechtlichen und arbeitsrechtlichen Regelungen nötig.